05.07.2007: Jo’s Tagebuch vom 4. Juli
Zwar kam schon der Bus zum Flughafen zu spät, aber da auch die Maschine nach Paris, sowie die nach Tokyo etwas Verspätung hatten verlief alles recht entspannt. Soweit ich es überblicken kann, ging niemand verloren. Kritisch war es nur kurz bei Matthias Eck (Kiel Baltic Hurricanes), der aus Versehen einen französischen Zivilpolizist fotografierte und recht eindringlich gebeten wurde, das Foto zu löschen. Ins französische Terroristen-Gefängnis musste er aber nicht. Der Transfer zu Flug AF 272 glückte reibungslos. Stefan Seidel (Munich Cowboys) berichtet gerade, dass weiter vorne ein Japaner übel am Kotzen ist! Lecker! Uns geht es allen aber gut. Wir sind noch 7498km von Tokyo entfernt und haben noch 8 Stunden und 33 Minuten Flug vor uns. Genug Zeit also, um etwas Tagebuch zu schreiben. Unsere Flughöhe beträgt 11125m. Draußen sind es kalte -55°C. Kein Wunder, wir haben ja auch gerade mit über 830 Sachen Joensuu überflogen. Das ist eine Stadt an irgendeinem finnischen See. St. Petersburg ist auch nicht weit. Das sehe ich gerade auf dem Air France Monitor vor mir. Moskau wird auf japanisch in nur 4 Schriftzeichen geschrieben! Wie interessant. Joensuu hat auch nur 4. Über was für einen Scheiß man sich hier alles Gedanken macht. Die lustige Außenbordkamera von Air France zeigt tatsächlich hunderte Seen unter uns. Die sind aber ziemlich weit unter uns. Naja…11125 Meter wie gesagt. Da wollte ich immer Mal hin - nach Skandinavien im Sommer. Geht aber wie immer nicht, da im Sommer ja Football gespielt wird. Vielleicht klappt es dieses Leben ja noch mal mit einem Sommerurlaub. Der letzte war 1997 auf Rhodos nach der Saison in der Landesliga Hessen mit der zweiten Mannschaft der Hanau Hawks, wenn ich mich richtig erinnere. Als ich wieder kam hatte ich einen Anruf von Coach Rowland (damals Hanau Hawks) auf dem Anrufbeantworter, der mir sagte, dass ich den Rest der Saison in der Ersten starten müsste, da sich unser amerikanischer QB verletzt habe. Seit dem war an Sommerurlaub nicht mehr zu denken. Skandinavien im Winter ist bestimmt auch nett, aber nicht mein Ding – zu kalt. Das letzte Mal als ich Tagebuch im Flugzeug geschrieben habe, befand ich mich auf dem Weg nach Indien über Kuwait. Obwohl der Anlass ein ganz anderer war, war es doch eine ähnlich emotionale Situation und eine ähnliche Reise ins Ungewisse. Bevor ich eben anfing zu schreiben, schaute ich den Film „Freedom Writers“ im Air France Kino. Da schreiben sie auch Tagebuch. Obwohl Hollywood-Schnulzen nicht mein Ding sind, fühlte ich mich als angehender Lehrer doch bewegt von diesem Film, in dem eine junge Lehrerin das Tagebuch der Anne Frank mit einer High School Klasse ließt. Gruß an die 9f auf diesem Wege, falls es jemand lesen sollte. Die Stimmung hier im Flieger ist generell ziemlich …nachdenklich, melancholisch… schwer zu beschreiben. Unsere großen Jungs haben größtenteils Plätze mit einigermaßen Raum gefunden und jeder ist am Relaxen und geht seinen Beschäftigungen nach…Rumspielen mit dem Multifunktionsmonitor von Air France, Football auf der PSP, Schlafen, Film gucken, Arbeiten am Laptop, Löcher in die Luft gucken… nur keiner ist am Dummschwätzen…sehr ungewöhnlich! Die zierliche Japanerin neben mir fängt auch schon an zu weinen, weil sie irgendeine japanische Schnulze schaut. Ich mache mir sowieso etwas Sorgen um sie, da sie beim Einschlafen immer den Kopf ganz schief hält und bestimmt bei der Ankunft schlimme Nackenschmerzen haben wir. Wahrscheinlich ist sie dann auch ein Fall für Hans (Physio). Sie scheint zwar sehr sympathisch, ihr Englisch ist aber beschränkt, deshalb hält sich die interkulturelle Kommunikation auf einem Minimum. Ich glaube, ich werde mal mit Marcel Duft eine Runde Traktoren-Quartett spielen, um die Sache etwas aufzulockern. Da ich gerade recht viel Zeit habe, will ich noch kurz eine Geschichte erzählen, von der ich schon die letzten Tage berichten wollte. Einer unserer Rookies (Neulinge) im Team ist nämlich Filip Pawelka, der im zarten Alter von 30 Jahren sein erstes Länderspiel machen wird. Bestimmt wäre es dazu schon viel früher gekommen, da er seit Mitte der 90er einer der besten Wide Receiver des Landes ist. Allerdings fehlte dem gebürtigen Polen bislang der deutsche Pass. Diesen beantragte er in seiner Heimatstadt Frankfurt. Leider wusste er nicht, dass er für das Expressverfahren 91 Euro Gebühr zahlen muss. Die Zeit zur Meldung des 75-Mann-Kaders war knapp und Filip hatte dummerweise nur 90 Euro dabei. Kurz vor der Verzweiflung stehend fand er im Auto weitere 12 Cent sowie eine leere Dose und 2 leere Flaschen, die er kurzentschlossen am Kiosk gegenüber dem Einwohnermeldeamt abgeben wollte. Leider nahm der Kiosk nur die Dose für 25 Cent. Er nutzte seinen Charme, um sich die verbleibenden 63 Cent von der lieben Sachbearbeiterin Frau Kara-Ahmed zu leihen und konnte damit ein Mitglied von Team Germany werden. Als er Ende Juni glücklich seinen neuen Pass abholte, beglich er seine Schulden bei der verdutzten Frau Kara-Ahmed. Ich bin sehr froh, dass Frau Kara-Ahmed ihm diese 63 Cent geliehen hat, denn ich kenne Filip schon seit oben genannter Saison 97 mit dem legendären Viertelfinale in Kiel. Durch seine Anwesenheit fühle ich mich hier noch ein Stück mehr zu Hause. Nebenbei kenne ich kaum einen Receiver mit dem ich mich auf dem Feld so blind verstehe, wie mit ihm. Die Tatsache, dass er es war, der mir 1993 beim Jugendspiel Hanau Hawks gegen Frankfurt Gamblers das Schlüsselbein brach, habe ich ihm längst verziehen. Lustigerweise haben wir vorhin festgestellt, dass Glocki, er und ich bereits 1993 alle gegeneinander gespielt haben. Oh…gerade habe ich ein drahtloses Netzwerk von einer PSP entdeckt und mal auf „verbinden“ gedrückt… Danach hat das Flugzeug ganz doll angefangen zu wackeln. Ich hoffe, ich bringe uns nicht alle um… Bevor ich noch mehr Gefahren heraufbeschwöre, entschuldige mich für die etwas längeren Ausführungen heute und gehe jetzt Quartett spielen.